Die Nein-Sager
Endlich ausdauernd, ungebremst und ohne weiter nachzudenken „NEIN!“ zu sagen, das scheint auf der nach oben offenen Skala der Senioren-Vergnügen ganz weit oben zu stehen. Neulich in einer Versammlung zum Thema „Anders wohnen“ bzw. „Zusammen wohnen im Alter“: so viele Neinsager und Defätisten, dass ich den Eindruck bekam, die alten Herrschaften mögen nichts lieber als Bedenken anzumelden, „NEIN!“ zu sagen, alles und jedes zu bezweifeln.
Erzogen in der 40er und 50er Jahren – auf jeden Fall vor 68 – wohlfrisiert, gescheitelt und in jeder Hinsicht zurecht gestutzt von der Generation davor – deren Heiligtümer wiederum Gehorsam, Mundhalten und Bravsein gewesen waren – holen unsere Senioren, wie es scheint, nun mit ungebremster Leidenschaft zum Gegenschlag aus.
Endlich ungestraft rumzicken
Endlich bockig sein dürfen, endlich zügellos trotzig der Umgebung die Zähne zeigen, endlich ohne Sinn und Verstand „NEIN!“ zetern, noch bevor man oder frau gehirnt hat, was der oder die andere eigentlich sagen will, endlich, endlich, endlich: „Das nicht!“ und „Jenes erst recht nicht!“ und „Dies nicht essen!“ und „Hier nicht sitzen!“ und „Dort nicht kaufen!“. „Hugendubel? – Ganz böse!“ (dann aber heimlich bei Amazon shoppen!). „Widersprüchlich? Mir doch egal! Hauptsache Widerstand geleistet! Gegen was nochmal? Ist doch Wurscht!“
Der Brainwash der Mütter?
Oder wiederholen sie nur einfach ihre Mütter, die vom Faschismus gehirngewaschen auch dauernd und zu allem und jedem „NEIN!“ sagen mussten?
Liebe Brüder und Schwestern im Alter: es nervt! Wenn euch an eurer Sozialkompetenz gelegen ist – und das wär doch keine schlechte Idee, um der Isolation im Alter ein bisschen vorzubeugen –, müsst ihr den Vollautomatismus eures „Neinsagens“ hinterfragen.
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…an dieser Stelle meldet sich mein Lektor, er meint es müsste so sein:
Verspäteter Aufstand gegen die Eltern?
Oder rebelliert, wer sich da nun so vehement gegen alles und jedes sperrt, damit eigentlich nur Jahrzehnte zu spät gegen seine Väter und Mütter, die vom Faschismus gehirngewaschen dauernd und zu allem und jedem „JA!“ (besser noch „JAWOLL!“) sagen mussten?
Liebe Brüder und Schwestern im Alter, gewiss, sich verweigern, „NEIN!“ sagen zu können, ohne dafür, wie vielleicht ihr noch als Kinder, Prügel zu beziehen, als Erwachsener hinter Gittern oder in irgend’nem Gulag zu landen, ist zweifellos eine große Errungenschaft freiheitlicher Gesellschaften, trotzdem, wenn’s denn allzu inkontinent rüberkommt, nervt’s einfach nur! Falls euch also an eurer Sozialkompetenz gelegen sein sollte – was keine schlechte Idee wäre, der Isolation im Alter ein bisschen vorzubeugen –, versucht doch mal, den Vollautomatismus eures „Neinsagens“ ein wenig zu hinterfragen.
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Weiter im Text: Ich hab das vor langer Zeit auch schon mal in einem einschlägigen Kurs geübt: „Heute sagen wir mal zu allem „JA!“, nur interessehalber, nur mal schaun, was passiert, was da anders wird, wie sich’s anfühlt. Quasi als Psycho-Experiment (nicht als politisches Statement!). Gern können wir tagsdarauf ja wieder zu allem „NEIN!“ sagen. Einstweilen aber würden wir wie Forscher untersuchen: „Wie geht es mir, wenn ich heute mal – für Anfänger vielleicht auch erstmal nur ein paar Stunden – „JA!“ statt „NEIN!“ sage?“…
Ich prophezeie euch: das kann ausgesprochen entspannend sein!