Keine Zeit mehr?
Mein Lieblingskabarettist, Max Uthoff, macht sich in seinem neusten Soloprogramm über drängelnde Omas in der Schlange beim Bäcker lustig. Erst wollte er der Oma noch sagen „Sie haben wohl gar keine Zeit?“, erzählt er, bis ihm klar wurde: diese sogenannte Oma hat ja tatsächlich nurmehr sehr viel weniger Zeit als er. Für ihn ein echter Geistesblitz.
Ja, nicht mehr für alles und jeden!
Ich hab auch keine Zeit mehr für Leute, die mich warten lassen, für bleischwere Inszenierungen im Theater, aufm “Event” oder irgendwelchen Feiern. Erst recht hab ich keine Zeit mehr für Politikerreden, Selbstdarsteller und die dazugehörenden Talkshows. Ich habe keine Geduld mehr für Bücher, die mehr als 20 Seiten brauchen, um mich in die Geschichte reinzuziehen, und schon gar nicht für Leute, die in zehn Sätzen erzählen, was man in zweien sagen könnte – ja: muss! Denn alles andere ist boshafter Umgang mit der Lebenszeit des Gegenübers.
Und so habe ich auch keine Zeit mehr für Spielchen, diffuse Unklarheiten im Kopf und im Benehmen, gar keine Zeit mehr für zähe Unentschlossenheiten, für Smalltalk statt echter Offenheit, für verklemmtes Rumlavieren statt humorvollem Zu-sich-selbst-Stehen. Ich mag gern Farbe bekennen (an der Wand, in der Klamotte, politisch und überhaupt) statt Beige, Pastell und anderen Schmutzfarben, die die Leuchtkraft der Klarheit vermissen lassen. Ich liebe kurze Wege, flache Hierarchien und Leute, die in der Eisdielenschlange nicht erst dann anfangen zu denken, wenn sie dran sind.
Aber bloß keine Panik!
Dafür jede Menge Zeit, was Interessantes, Neues zu entdecken: in der Pinakothek der Moderne etwa, in einem wachen Augenpaar oder auf der Speisekarte meines Lieblings-Italieners. Im Guggenheim von Bilbao, auf der Wiese oder beim Kleinkind der Nachbarin.
Dabei geht es gar nicht darum, hektisch zu werden. Je älter man/frau wird, je näher das “Ziel” unseres Lebenswegs rückt, desto mehr sollten wir den “Weg” selbst genießen. Meter für Meter, Tag für Tag. Es geht um die Zeitqualität und um Intensität. Um Ernsthaftigkeit, Verspieltheit und Dichte. Und in der Liebe auch gern um Zeitlupe und Präsenz.
http://www.maxuthoff.de/max-uthoff
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Superschön und sehr poetisch auf den Punkt gebracht hat es
der brasilianische Dichter Mario de Andrade (San Paolo 1893 – 1945).
Er sagt:
Meine Seele hat es eilig
Ich habe meine Jahre gezählt und festgestellt, dass ich weniger Zeit habe, zu leben, als ich bisher gelebt habe. Ich fühle mich wie dieses Kind, das eine Schachtel Bonbons gewonnen hat: die ersten essen sie mit Vergnügen, aber als es merkt, dass nur noch wenige übrig waren, begann es, sie wirklich zu genießen.
Ich habe keine Zeit für endlose Konferenzen, bei denen die Statuten, Regeln, Verfahren und internen Vorschriften besprochen werden, in dem Wissen, dass nichts erreicht wird.
Ich habe keine Zeit mehr, absurde Menschen zu ertragen, die ungeachtet ihres Alters nicht gewachsen sind.
Ich habe keine Zeit mehr, mit Mittelmäßigkeit zu kämpfen.
Ich will nicht in Besprechungen sein, in denen aufgeblasene Egos aufmarschieren.
Ich vertrage keine Manipulierer und Opportunisten.
Mich stören die Neider, die versuchen, Fähigere in Verruf zu bringen um sich ihrer Positionen, Talente und Erfolge zu bemächtigen.
Meine Zeit ist zu kurz um Überschriften zu diskutieren. Ich will das Wesentliche, denn meine Seele ist in Eile. Ohne viele Süßigkeiten in der Packung.
Ich möchte mit Menschen leben, die sehr menschlich sind. Menschen, die über ihre Fehler lachen können, die sich nichts auf ihre Erfolge einbilden. Die sich nicht vorzeitig berufen fühlen und die nicht vor ihrer Verantwortung fliehen. Die die menschliche Würde verteidigen und die nur an der Seite der Wahrheit und Rechtschaffenheit gehen möchten. Es ist das, was das Leben lebenswert macht.
Ich möchte mich mit Menschen umgeben, die es verstehen, die Herzen anderer zu berühren. Menschen, die durch die harten Schläge des Lebens lernten, durch sanfte Berührungen der Seele zu wachsen.
Ja, ich habe es eilig, ich habe es eilig, mit der Intensität zu leben, die nur die Reife geben kann.
Ich versuche, keine der Süßigkeiten, die mir noch bleiben, zu verschwenden. Ich bin mir sicher, dass sie köstlicher sein werden, als die, die ich bereits gegessen habe.
Mein Ziel ist es, das Ende zufrieden zu erreichen, in Frieden mit mir, meinen Lieben und meinem Gewissen.
Wir haben zwei Leben und das zweite beginnt,
wenn du erkennst, dass du nur eins hast.
Danke, Elfie Donelly for your inspiration (bei facebook)