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Mrz

Ist Nathan heute noch weise?

Für eine Emanzipation von alten Vorbildern
und sämtlichen Religionen

 

Es war eine der Geschichten, die mich als Kind am meisten faszinierten: Mutter erzählt mir von der ersten Aufführung des „Nathan“ die sie gesehen hatte. Das war 1945 im Münchner Residenztheater, damals eine Ruine ohne Heizung. Es war eiskalt. Die Zuschauer, in ihre Daunenbetten gepackt, schauten gespannt und fasziniert auf die Bühne. Unter den Nazis war die Aufführung von Lessings Werk verboten gewesen. Und nun war es das erste Stück mit dem das Haus den Spiel-Betrieb wieder aufnahm. Die Ringparabel ist das Kernstück des „Nathan“, der 1779 veröffentlicht und am 14. April 1783 in Berlin uraufgeführt wurde. Sie galt als aufklärerisch und revolutionär, weil alle drei monotheistischen Religionen als gleichwertig und ebenbürtig erklärt worden waren.

Meine Mutter kam aus keiner Nazi-Familie, dennoch war ein gewisser antisemitischer Brainwash nicht spurlos an ihr vorüber gegangen. Nach dem Krieg hat sie das Stück wie eine Offenbarung eingesaugt und etwas von diesem Zauber ist dann später an mir hängen geblieben.

 

Gummi-Nathan im Volkstheater. Frust!

Kein Wunder also, dass es mich ins Münchner Volks-Theater zog, das das Stück neulich wieder auf die Bretter hob. Kurz vor der Premiere waren die Schüsse in Paris gefallen und alle, wirklich alle Künstler bemühten sich das Ereignis zu würdigen und sich wie auch immer solidarisch mit den Ermordeten von Charlie Hebdo zu zeigen. Sie hatten das Gefühl, sie könnten nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen. Ich war also gespannt.

Aber: was für ein Frust! Dieser „Nathan“ kam so altbacken daher. Der alte Jude bewegte sich betont locker auf der Bühne. Er wedelte mit den Armen, schlenderte betont lässig und mummelnd von links nach rechts und zurück. Als wäre er aus Gummi. Als wollte er sagen: „Hilfe! Mir fällt nix Modernes/Aktuelles zu der Rolle ein, mach ich mal einen auf superlocker, das kommt immer gut!“ Der Tempelherr im Kakhi-Hemd und die Araber mit Kalaschinkows. Gähn. Der Verdacht drängte sich auf: hier war niemandem was Neues eingefallen, ein Update offenbar am selbstgebastelten Denkverbot der Theaterrevolutionäre („die Religionen an sich tasten wir aber nicht an“), schwungvoll gescheitert.

 

Wieviel Schwachsinn muss aus den Heiligen Büchern verschwinden,
damit sie “modern” sind?

Vielleicht hilft ja das Programmheft weiter. „Drei Religionen für den Frieden“. Ach ne. Jeder weiß, dass es im Koran blutrünstig zugeht, genauso wie in der Bibel, wenn man danach sucht. Auch Diskussionen darüber was schlimmer ist, wenn Mohamed eigenhändig Köpfe abschlägt oder z.B. im Alten Testament Abraham seinem Sohn das Messer an die Gurgel setzt, sind müßig. Oft geht ja die Diskussion dann weiter: „Die Moslems müssen ihren Religion reformieren.“ Hallo? Und dann? Wer definiert denn wieviel Schwachsinn und Grausamkeit aus den sogenannten Heiligen Büchern verschwinden müssen, damit sie „modern“ sind? Und selbst wenn sie zu modernisieren wären, was sagten Sie uns dann? Und wieso überhaupt müssen wir uns an mehr oder weniger historischen Figuren festklammern, die anno dunnemals in irgendeiner Wüste gelebt haben?

Kein Mensch wagt es die Religionen selbst anzufassen und sie als die historisch überholte Ursache fast aller Kriege zu entlarven. Wirklich keiner? Doch, einer! Hamed Abdel Samad, geborener Ägypter mit Deutschem Pass, Sohn eines Immans und Autor spannender Bücher sagt auf seiner Facebook-Seite: „Lessings Ringparabel taugt nicht mehr als Formel des Zusammenlebens. Denn das Hauptproblem heute ist nicht welche der drei Religionen die wahre ist und was für eine Beziehung alle Drei zu einander haben, sondern wie man die Schäden beseitigen kann, die sie in dieser Welt angerichtet haben und immer noch anrichten!“ Und weiter: „Die Menschheitsgeschichte ist die Geschichte der Emanzipation von alten Göttern und deren Stellvertretern auf Erden. Re, Horus, Zeus haben wir schon hinter uns. Nur den letzten müssen wir noch überwinden, damit wir endlich erwachsen werden“.

 

Wieso schafft es diese Erkenntnis nicht auf die Bühne des Volkstheaters?

Ausverkauftes Haus, im Publikum jede Menge Schulklassen, die diesen Gummi-Nathan anschauen müssen, weil es so im Lehrplan steht. Sie sitzen da um zu erfahren dass im Jahre 1783 Jahren die Erkenntnis revolutionär war, dass alle Religionen gleich sind. Interessiert das noch jemanden? Ich wünschte Ihnen ein ekstatisches Erlebnis wie es meine Mutter vor 70 Jahren hatte, aber mit der etwas neueren Erkenntnis dass „die Menschheitsgeschichte die Geschichte der Emanzipation von alten Göttern und deren Stellvertretern auf Erden“ ist.

In der Pause muss ich raus. Mir brummt der Schädel: so viel mindfood. Optisch schick aber fad. Und so unsinnlich! In der U-Bahn forsche ich weiter im Programmheft, ob sich nicht doch vielleicht noch irgendein Dramaturg zu mehr aufrafft als „wir sind so lieb, wir sind so gleich, wie schön!“.

Aber nein, es geht weiter mit: „Die Morde sind ein Angriff auf die Freiheit des Denkens, des Glaubens und unserer gemeinsamen Werte von Toleranz und Nächstenliebe, den wir zutiefst verabscheuen.“

 

Ist “Toleranz” nicht herablassend?

Das Wort Toleranz wenn ich schon höre. Das hat so was herablassendes. Ich bin der bessere Mensch, weil ich so tolerant bin, und du kannst mir die Füße küssen, weil ich dich toleriere, in meinem Land, in meiner U-Bahn, in meiner Kantine oder gar in meinem Haus (fehlt nur noch: in meinem/unserem Mittelmeer). Toleranz, das ist ein Wort mit Richtung. Von oben nach unten. Wie wär´s mit „Respekt“ oder gar „Empathie“ ? Das ist mehr auf Augenhöhe.

„Wir brauchen ein Post-Toleranz Gesellschaft, wo keine Seite die andere weder dulden noch um Duldung bitten muss!“ spricht Hamed Abdel Samad mir aus der Seele. Unglücklicherweise hat er sich vom deutschen TV-Talkshow-Zirkus verabschiedet. Und so werden wir Abend für Abend gequält mit der immer gleichen Gäste-Mischung: der Islam-Versteher, die Frau mit dem Kopftuch, die dauernd redet, und oft vorauseilend recht hat, der integrierte Moslem, der an der TU studiert hat, während sein Vater noch Gemüsehändler in Neukölln war. Und Herr Bosbach. Warum der da sitzt weiß kein Mensch. Ich glaube er soll uns die Politik bzw. deren Abwesenheit erklären. Das ist so öde, vor allem wenn der völlig sinnfreie Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ stundenlang von allen Seiten untersucht wird. Wahrscheinlich hoffen alle Beteiligten doch noch irgendeine höhere Wahrheit darin zu finden. Bisher vergeblich.

 

Es muss ja nicht immer gleich eine Religion sein

Nun könnte es tatsächlich sein, dass wir biologisch/nervlich, also von unserer physischen Ausstattung her, für diesen Planeten hier nicht wirklich gut genug gerüstet sind, um der Tatsache ins Auge zu schauen, dass wir – meist mit dem Kopf nach unten – auf einer blauen Kugel hängend, durch einen ziemlich leeren Weltraum rasen und uns mutterseelenallein fühlen. Vielleicht ist das einfach too much. Vielleicht brauchen wir rosa Wolken, Heilige Bücher, Märchen, Trost, psychische Stoßdämpfer, um das auszuhalten? O.K. in dem Fall schlage ich die Anschaffung eines Hündchens, einer Katze oder eines Teddybären vor (in Härtefällen: Streichenzoo). Es muss ja nicht immer gleich eine Religion sein.

http://www.oshotimes.de/

https://de.wikipedia.org/wiki/Hamed_Abdel-Samad

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