10
Mrz

Von der Kunst älter zu werden …

… und heiter zu bleiben
Das hat mir meine Mutter nicht erzählt, und meine Großmutter auch nicht: wie fühlt sich das an, älter zu werden? Was passiert im Körper, in der Psyche, und überhaupt? Ich erinnere mich an meine alten Herrschaften auf dem Sofa, in beigen Tretern und ein bisschen halsstarrig. Ich hatte keine Ahnung, warum ich mir Sonntag für Sonntag etwas einfallen lassen musste, um mich bei den Besuchen nicht zu langweilen. Ich betrachtete dann alte Paperweights, Alabastersäulen an alten Uhren und die Muster von alten Teppichen. Oder riesige Blumen auf Tapeten. Oder Küchenuhren mit Jugenstilziffern. Die alten Herrschaften bedankten sich manchmal mit Geldscheinen fürs Ausharren.

Wenn die Kompensationen einknicken…
Völlig unvorbereitet musste ich mit ungefähr 50 zusehen, wie meine Kompensationen, die Stoßdämpfer der Psyche, einknickten. Das heißt: ich konnte nicht mehr so viel aushalten. Nicht mehr so viel Lärm, nicht mehr so viel Großraumbüro, Ironie und Spott, Ellenbogen, und nicht mehr so viel Kampf im und um den Arbeitsplatz. Mir wurde heiß wegen nichts und wieder nichts, oder Zipperlein, die schon in der Kindheit angelegt waren, wie etwa panische Reaktionen auf unsanfte Autofahrten, poppten plötzlich so sehr hoch, dass die Mitfahrer mir daraufhin ihre unschönen Zähne zeigten.

Elastanhaltige Textilien zum wohlfühlen
Jeder weiß, dass die Macken mehr werden im Alter. Doch keiner hat mich darauf vorbereitet, dass es einsam werden kann, wenn du dich von allen Freunden verabschiedest, die etwas merkwürdig werden, weil du deine eigene zunehmende Merkwürdigkeit immer weniger in den Griff kriegst. Niemand hat mir gesagt, dass alte Menschen in beigen Tretern nicht an Geschmacksverirrung leiden, sondern bequeme Schuhe brauchen, weil sie an Gewicht zugenommen haben – und das nicht aus Fresssucht oder Bequemlichkeit, sondern weil z.B. die Abnahme von Östrogen Bauchfett verursacht. Wir haben es gut: wir leben im Zeitalter der schicken allfarbigen Sneakers, der elastanhaltigen Textilien, und der Fernbedienungen für bald alles und jedes.

Gott segne die Mikrochirurgie und alle Betäubungsmittel
Wir haben es überhaupt viel besser als unsere Großeltern. Die Medizin hat Fortschritte gemacht: Gott segne die Mikrochirurgie und alle Betäubungsmittel, dank Internet müssen wir uns nie wieder langweilen, und bei aller Kritik an drohender Altersarmut und sozialdemokratischen Scheinreformen, statt großen Würfen: unterm Strich bleibt dennoch mehr Komfort, und mehr Beweglichkeit. Mein Freund Sunny hat eine ganze Nacht überlegt und erzählte mir am Morgen: “Dein Blog sollte nicht ‘Alt werden – heiter bleiben’ heißen, sondern ‘Alt werden, heiter werden’. Denn wir hatten so viele Probleme in unserem langen Leben: erst Schule und schwarze Pädagogik, dann der Beziehungsstress, dann der Burnout im Beruf, die Kindererziehung und die Sinnsuche, Tschernobyl und 68. Da hab ich erst jetzt, wo ich das alles hinter mir habe, Zeit für Heiterkeit”.

Der Himmel stahlt blauer am Ende des Weges
Alexander Wallasch schreibt in einem Nachruf auf meinen Vater: “In einer seiner letzten Kolumnen (…) heißt es: „Es schneit und schneit. Klirrender Frost. Eisiger Wind aus Nordost. (…) Ich ziehe mich warm an, klemme mir eine Flasche Nuss-Likör unter den Arm und breche zu meiner Nachbarin Hilde auf, um ihr frohe Weihnachten zu wünschen. Kaum aus dem Haus, versinke ich fast bis zur Hüfte im Schnee. Schon von weitem sehe ich: Aus Hildes Schornstein dringt weißer Rauch. „Die hat‘s gut“, denke ich, „die hat noch Ofenheizung.“ Vielleicht ist es ja tatsächlich so, dass am Ende eines spirituellen Weges die banalen Dinge des Lebens heller strahlen. Vielleicht deshalb, weil man gelernt hat, sie zu genießen.“

Ich seh das so ähnlich: am Ende des Weges strahlen die Dinge heller. Doch nichts ist banal.

 

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